Themen

  • WeLtEnWuT
  • Herzschmerz.
  • kurzGeschichten
  • (Philo)Sophie
  • Leben
  • Schreibkunst
  • (Un)Tiere
  • Krake/MONSTER/schwarzesBiest
  • Selbstfindungswirrwarr
  • DEPRESSION.

Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Dienstag, 19. März 2013


Tag ACHT (Hundebegegnung. Oder Die Depression ist immer und überall)

Wwwwuuufff. Wwuff. Hört ihr's? Ein großes, braunes Fellpaket kommt schwanzwedelnd auf Jette zugerannt. Schnüffelt begeistert an ihr herum und leckt ihr über die Hand. Hunde sind einfach doch die besseren Menschen. Sie merken intuitiv, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht. Wenn doch nur die Herrchen immer so klug wie ihre Tiere wären... Sei es drum, wer dümmer ist als sein Hund, hat keinen lieben Partner an seiner Seite verdient. Jette jedenfalls freut sich über diese Sympathiebekundung am Morgen, während sie durch den dicken Schnee stapft. Dass dieser Winter aber auch gar kein Ende nehmen will!
Jettes eigener schwarzer Hund macht sich auch ein bisschen bemerkbar. Nur, weil man nicht mehr den ganzen Tag weinend im Bett liegt, nur, weil man in der Lage ist, morgens aufzustehen, sich anzuziehen, nur, weil die Gedanken an die Aufgaben des Tages einen nicht schon in wenigen Sekunden nach dem Aufwachen ersticken, nur, weil man einen Antrieb spürt, sich ansehnlich herzurichten, nur, weil man andere Leute anlächeln und Smalltalk betreiben und seine Aufträge bei der Arbeit bewältigen kann, ist man nicht gesund. Jette vergisst das manchmal.
Läuft doch alles, sie kriegt ihr Leben doch auf die Reihe, dann mal volle Kraft voraus! - Besser nicht. Denn eine geklebte Teekanne bleibt eine geklebte Teekanne. Achtsamkeit, Selbstmitgefühl, Rücksicht auf das Ich, all das ist essenziell, damit man eben nicht wieder als der einsamste Mensch auf dem Planeten, ohne jeglichen Sinn im Leben, heulend, hilf- und kraftlos den Tag in den Kissen verbringt. Oft ist es ein Tanz auf Messers Schneide. Trotzdem: Jette darf nicht zu viel von sich erwarten. Sie kommt gut klar in der großen Stadt, kann die schönen Momente am Tag aufsaugen und versucht, sich von möglichen schrägen Blicken anderer nicht zu sehr verunsichern zu lassen. Realitätsüberprüfung! Die ergibt vor allem auch, dass sie ständig so richtig erwachsene Menschen trifft, die sich trotzdem mit der gleichen Unsicherheit durch die Gegend bewegen - und dann, warum auch immer, hilfesuchend bei Jette landen. Als ob sie hier den Überblick hätte! Aber doch eine schöne Wertschätzung irgendwie, wenn man wissend oder zumindest freundlich genug aussieht, dass andere sich an einen wenden. - Vermerkt auf der Seite der positiven Tageserlebnisse.
Zu den registrierten Ereignissen gehören auch diese zwei (denn "Die Depression ist immer und überall"): [in der U-Bahn:] "Depression? Die Teilnahem an einer Studie könnten Ihnen helfen!".Über dem Schriftzug ein Frauengesicht, mit Tränen überzogen. Mh, wieviele andere Betroffene das heute wohl schon gelesen haben? Jette ist froh, dass sie nicht zu den armen Seelen gehört, denen immer noch nichts hilft. Die letzten anderthalb Jahre waren Hölle genug. Wie furchtbar muss es sein, wenn man keine gute Therapie und kein wirksames Antidepressivum hat? Jette ist froh, dass ihr schon ein ganzes Stück weit geholfen wurde.
Als sie, zurück in ihrer Unterkunft, so überlegt, was wohl das Motto des heutigen Tages und vor allem, was ein dazu passendes Titelbild wäre, stolpert sie in der Küche über das perfekte Objekt. Und muss lachen. Oha, wer hat denn solche Klebezettel? Am Rand des Papiers, auf dem jemand ein Backrezept notiert hatte, ist der Name Jettes Lebensretter aufgedruckt (das ist reiner Zufall und soll keine Schleichwerbung für das Präparat werden. Es könnte auch jedes andere, antidepressiv-wirkende Medikament sein....). Ob die anderen wohl wissen, womit sich die Blaubeeren da auf ein und demselben Stück Zellulose vertragen müssen? Und vor allem, wo kommt dieser Zettel denn her? Jette kennt niemanden, der Antidepressiva-Notizblöcke besitzt! Seltsam. Falls der oder die Schreiber/in allerdings weiß, worauf er oder sie da Gedanken festhält, dann hat sich Jette längst verraten. Denn ihre Tablettenschachtel lag offen im Zimmer. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Selbst wenn, direkt zu fragen, traut sich eh niemand. Immer noch groß die Scheu vor dieser Krankheit. Immer noch groß die Scham, dazu zu stehen.
Vielleicht sollte man die anonyme, passive Depressions"werbung" besser in eine aktive, aufklärende umwandeln, in der sich die U-Bahn-Fahrer an einer Stelle verewigen und zu ihrer Krankheit stehen können. Aber wer will sich schon outen?
Und Jette ertappt sich selbst - wieviele wissen nicht, wie es wirklich in ihr aussieht! Spielt sie nicht selbst oft mit im Theaterstück der pseudo-heilen Welt?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen